Pferde-Züchterin Kolbe päppelt verstoßenen Weißstorch auf / Tier soll in neue Familie kommen
Von Marco Hertzfeld
Osterburg. „Schön Abstand
halten, er soll sich auf keinen
Fall an den Menschen gewöhnen“,
bitte Claudia Kolbe und
blickt auf ihren Schützling. Der
junge Weißstorch thront am
Erdboden auf einem künstlichen
Horst aus Stroh und plustert
sich in diesem Moment
mächtig auf, macht sich größer
als er ist. „Als der kleine Kerl am
- Juni zu mir kam, war er nur
wenige Wochen alt und wog
nicht mehr als 850 Gramm,
eine Handvoll Elend.“ Der Vogel
hat vorübergehend bei der Tierfreundin
gelebt, die ihn aufgepäppelt
hat, quasi Tag und
Nacht. „So etwas macht man
nicht nebenbei“, sagt sie der
AZ. Nun wird es Zeit für das
richtige Leben, der Storch wird
das Anwesen zwischen Osterburg
und Stendal verlassen und
soll heute in ein extra ausgesuchtes
Nest irgendwo im Norden
des Landkreises gesetzt
werden. „Der Abschied ist da.“
Seine alte Familie in Bertkow
hat ihn nicht gewollt, oder besser,
seine drei Geschwister haben
ihn verdrängt und den
Kleinsten von ihnen einfach aus
dem Nest geschubst. „So ein
Verhalten ist bei Störchen gar
nicht so selten“, weiß Kolbe.
Verletzungen scheint das Tier
nicht davongetragen zu haben.
Ein Mädchen hatte den Vogel
nach seinem Absturz in einem
Busch gefunden und ihn „Rüdiger“
getauft. Ob Rüdiger tatsächlich
ein Junge ist, lasse sich
nicht mit absoluter Sicherheit
sagen. Ein Bluttest wäre dafür
nötig. „Letztendlich sei es ja
auch völlig egal“, meint Kolbe
schmunzelnd und wirft dem
Storch aus einiger Entfernung
nacheinander zerteilte Küken
und Mäuse zu. Rüdiger langt
kräftig zu. „Er hat ordentlich an
Gewicht zugelegt und ist ein
richtiger Brocken geworden.“
Kolbe lebt seit 2005 in der
Altmark. Sie kommt ursprünglich
aus Hessen, ihre Familie
hat auch ostdeutsche Wurzeln.
Die studierte Ethnologin züchtet
Koniks, robuste Ponys. „Bisher
konnte ich nur Pferde und
Menschen reparieren. Nun
weiß ich, es klappt auch mit
Störchen.“ Dass auf ihrem eigenen
Hof sogar Adebare brüten,
sei so etwas wie Fügung. Als im
vergangenen Jahr dort ein Küken
aus dem Nest fiel, mussten
Entscheidungen getroffen werden.
Das Tier hatte nicht so viel
Glück und brach sich irreparabel
einige Knochen. In Absprache
mit den Experten des Storchenhofes
Loburg nahm Kolbe
den „Bodenstorch“ schließlich
für immer unter ihre Fittiche
und nannte ihn „Luca“. Die
Neu-Altmärkerin lachend: „Ja,
es ist tatsächlich ein Mädchen,
ein Gentest hat es gezeigt.“
Luca kann nicht richtig laufen
und fliegen schon gar nicht.
Für Klein-Rüdiger ist die ansonsten
recht fidele Dame die
passende Amme. Beide haben
ein ähnliches Schicksal und teilten
sich einige Tage lang das Gehege.
Außerdem stehen noch
zwei Störche aus Plastik im Gehege,
die helfen, die Kameraden
in Freiheit nicht zu vergessen.
Das Areal ist zu den Seiten
hin mit stabilem Maschendraht
gesichert, darüber hat Kolbe in
gut zwei Meter Höhe für alle
Fälle noch ein Netz gespannt.
„Man weiß ja nie, was so an
Räubern aus der Umgebung unterwegs
ist. Wobei ich ja eigentlich
sowieso immer ein Auge
auf alle meine Tiere habe.“
Störche sind für Kolbe der Indikator
für eine gesunde Natur.
„Es gibt wieder mehr von diesen
Vögeln, einfach toll.“ Sie arbeitet
eng mit Gerd Flechner, einem
Vertreter des Kreis-Umweltamtes
in Stendal, und dem
Storchenhof Loburg zusammen.
„Ich höre auf deren Ansagen,
nur so geht es.“ Wenn ein
Storch aus dem Nest fällt, seien
verantwortungsbewusste Menschen
und die Fachleute gefragt.
„Die Bürger in Bertkow
haben sich vorbildlich verhalten
und die richtigen Stellen informiert.
Ein dickes Lob dafür.“
„Rüdiger“ bekommt den Hals nicht voll. Claudia Kolbe hat den kleinen Kerl zwei Wochen lang umsorgt.
Ihr zweiter Schützling, Bodenstorch „Luca“, bleibt vermutlich für immer bei ihr. Fotos: Hertzfeld