Claudia Kolbe züchtet Koniks und will sie zur Therapie traumatisierter Menschen einsetzen
Von Marco Hertzfeld Altmark.
„Es sind wunderbar unzivilisierte Tiere mit einem starken eigenen Willen, keine Sportpferde und schon gar keine bloßen Rasenmäher“, sagt Claudia Kolbe voller Ehrfurcht und wischt sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Als die 55-Jährige das Tor zur weitläufigen Koppel eines Hofes zwischen Osterburg und Stendal öffnet, blickt der prachtvolle Hengst kurz auf, alle anderen lassen sich scheinbar
nicht stören und grasen in
aller Seelenruhe weiter. „Die
tricksen, Koniks wissen ganz
genau, wer oder was da
kommt.“ Plötzlich setzt sich die
Schar der halbwilden Unpaarhufer
wie durch ein unsichtbares
Band miteinander verbunden
in Bewegung. Die robusten
Ponys sind ungemein neugierig,
ihr Mensch bringt einen
Gast mit. „Hunde oder Wölfe
hätten übrigens sofort eine
Front gegen sich. Diese Tiere
sind sozusagen wolfserprobt,
das haben sie einfach im Blut.“
Mensch und Tier treffen sich
auf halber Strecke. Eine junge
Stute begrüßt die gebürtige Jenenserin
stürmisch, stupst sie
immer wieder mit dem Kopf in
die Seite. Kolbe lässt sich das
ein paar Mal gefallen und weist
ihr dann schließlich lachend
mit beiden Händen gegen den
mausgrauen Hals den Weg. Die
Herde zählt vielleicht sieben,
acht Tiere. „Insgesamt haben
wir derzeit 18 Koniks. Ich höre
erst einmal zu züchten auf. Der
Markt ist tot, für den Metzger
züchte ich nicht.“ Angefangen
habe alles 1995 noch in Hessen
mit „Nuka“. Sie hatte damals
ein Fohlen bei Fuß und ein weiteres
im Bauch. Zwei Jahre danach
kam Nukas Mutter „Naja“,
eine legendäre Stute aus einem
polnischen Staatsgestüt und zudem
wieder selbst trächtig, hinzu.
Ihr Fohlen „Noc“ hat sich
mittlerweile zu einem sehr gut
gekörten Hengst entwickelt.
Kolbes ganzer Stolz. Naja, an
der die Züchterin sehr hing, ist
im November 2012 fünfunddreißigeinhalbjährig
gestorben.
Kolbe, ein langjähriges Mitglied
des Naturschutzbundes
Deutschland (Nabu), wird nachdenklich
und blickt über einen
Teil ihres sieben Hektar großen
und von Holzzäunen umgebenden
Anwesens, auf dem die
Pferde wieder nur sich zu kennen
scheinen: „Es sind so wunderschöne
und einzigartige Geschöpfe,
doch keine Wildpferde,
sondern Rückzüchtungen.
Koniks könnten durchaus in
überfreier
Natur überleben, dann
brauchen sie aber unzählig viele
Hektar und verschiedene Bereiche:
Wald, Wiese, Wasserstelle,
Wind- und Insektenschutz
und eine Stelle, an der
sie Mineralien aufnehmen können.“
Als natürliche Rasenmäher
und Landschaftspfleger seien
Koniks durchaus geeignet,
wenn sie denn artgerecht gehalten
werden. „Wer Natur- und
Tierschützer ist, sollte das wis-
auch in jeder Situation seiner
Verantwortung bewusst sein.“
Kolbe sieht ihre Arbeit als Erhaltungszucht.
„Es geht darum,
eine seltene Blutlinie zu erhalten.“
In besagter Naja steckte
vermutlich noch echtes Tarpanblut.
Der ausgerottete Tarpan
gilt als eine Form des Wildpferdes.
Staatliche Unterstützung
erhalten Konikzüchter nicht.
Das polnische Konik, was überfreier
setzt so viel wie Pferdchen oder
kleines Pferd heißt, steht in
Deutschland nicht auf der Roten
Liste gefährdeter Arten.
„Weil es ein polnisches Pferd
ist, sollen sich nur Polen um die
Erhaltung kümmern – sehr
fragwürdig“, sagt eine Frau, die
noch ganz besondere Pläne mit
ihren Tieren hat. „Ich überlege,
ob ich sie nicht vielleicht als
Therapiepferde einsetze. Diese
eigenwilligen und doch so einsen
sichtigen, ruhigen und genügsamen
Tiere mit überaus starken
sozialen Bindungen untereinander
sind wie geschaffen
für eine Arbeit mit traumatisierten
Jugendlichen, traumatisierten
Menschen.“ Susann Herodes
(25), ihre Angestellte,
würde sich sogar für dieses Tätigkeitsfeld
weiterqualifizieren.
„Wenn ich mich so an die Anfänge
erinnere…“ Kolbe ist studierte
Ethnologin, eine Völkerkundlerin.
Ihre Magisterarbeit
schrieb sie über die Geschichte
des Pferdes bei Reitervölkern.
Indianer spielten darin eine
große Rolle. „Eigentlich wollte
ich in Hessen Mitte der 90er-
Jahre nur ein Pony erwerben,
um mit ihm durch den Wald zu
schlurfen.“ Nun lebt sie in der
Altmark und kümmert sich um
fast 20 Tiere. Ihr Vater stammt
aus Falkenhagen in Brandenburg,
die Mutter aus Zittau. Die
Familie verließ noch vor dem
Mauerbau 1961 die DDR. Als sie
vor einigen Jahren Freunde, die
aus Hessen nach Badingen, einem
Bismarker Ortsteil, gezogen
waren, besuchte, verliebte
sie sich prompt in die Landschaft,
in die Altmark, und beschloss
es ihnen gleichzutun.
„Ich fühle mich sehr wohl in
dieser Gegend. Die Natur ist
hier noch in Ordnung, es gibt
sogar Baumfalken und Pirole.“